Nun sind wir also auf dem Schiff.
Die Truppe ist wieder komplett. Dieses Mal in leicht veränderter Besetzung:
Der Capitanowitsch Oleg: Unser bester Mann, immer zuverlässig, aber zuweilen mit grundlegenden Fehlentscheidungen. Mal schauen, was er dieses Mal abliefert. Er steht unter Beobachtung, seit er uns bei der WM 2018 in Sankt Petersburg versehentlich zwei Zimmer in einem Rotlicht-Hotel gebucht hatte. Nochmal so eine Entgleisung, und er wird abgesetzt. Eine Entlassung gab es bei der Truppe noch nie. Aber er muss jetzt in Katar eine gute Performance hinlegen, sonst isser raus.
Der Norberto: Ob er immer noch hungrig ist wie vor 4 Jahren bei der WM in Russland und 2014 in Brasilien, als er sich in atembraubenden Tempo durch alle Churrasco-Theken gefräst hat? Er dürfte immerhin die gereichten Gerichte wohl bestens kennen, da er mit seiner doppelten Staatsangehörigkeit als Araber und Deutscher die Gewohnheiten beider Seiten kennt wie seine Hosentasche.
Der Mohammed: Unser Smartie-Boy; er lässt keine Gelegenheit aus, Frauen anzusprechen. Unser Schönster eben. Bin gespannt, ob er sich unter den Schleiern zurechtfindet.
Der Leron: Unser Trommler und Einheizer. Er wird in Deutschland in der Regel von Frauen aktiv angesprochen. Ein großer Mann, schwarz wie ein Massai-Krieger. Und mit ebensolchem Gerätschaften. Doppelte Staatsbürgerschaft (Senegalese und Deutscher). Ein eingefleischter evangelischer Christ, nachdem er zuvor Muslim war, ihm in Deutschland aber ein Job angeboten wurde, wenn er die Religion wechselt.
Die Maha: Sie war bis vor kurzem ein Mann, hieß Horst, und muss sich in ihrer neuen Welt erst noch zurechtfinden. Auf jeden Fall schön, dass er mit dabei ist. Sorry ... dass SIE mit dabei ist, natürlich. Aber ob das was wird mit ihr in Katar ...?
Der Ahmad: Unser Ältester. Ist derzeit noch etwas unpässlich. Genau genommen: ziemlich verkotzt. Ihm wurde es schon beim Betreten des Schiffes total schwindelig. Was wird das nur? Aber gut, er wird bald 75, und wir freuen uns, dass er mit dabei ist. Ein Urgestein der deutschen Gegenwarts-Fankultur. Nachdem bei dem Zwischenfall direkt drei Bordmitglieder angerannt kamen, ein besorgtes Gesicht machten und ihn dann einer Grundreinigung unterzogen haben, haben sie ihn direkt bis zu seiner Kabine begleitet. Dort wird das Zimmer seither bewacht. Hoffentlich kommt er zum Eröffnungsspiel wieder raus. Mal schauen. Wenn nicht, starten wir eine Befreiungsaktion. Steht aber immer mindestens ein mit weißen Leinen beumhangter Katari vor seiner Tür und schiebt Wache. Na ja, schaun mer mal.
Der Abdul: Hat nur Fußball im Kopf. Und Flusen. Mal schauen, wie sich der Neue so schlägt. Zu erkennen ist er daran, dass er immer eine Kopie des WM-Pokals mit sich trägt.
Tja, und dann fehlt dann noch einer. Der Osvaldo eben. Meine Frau ließ mich dieses Mal freiwillig mit zur WM reisen. Meine Kumpels konnten es nicht glauben und wollten mich schon zu Hause lassen. Nur mittels eines genialen Tricks konnte ich das Unheil abwenden (4 Wochen während der WM zu Hause mit meiner Frau!) und mich mit aufs Boot schleusen. Jetzt herrscht wahrscheinlich erstmal 4 Wochen Funkstille zwischen Marpingen und Doha. Hab voll das Glück.
So, los geht's! Endlich! Eröffnungsspiel Katar gegen Ecuador. Haben noch keine Tickets, aber mal schauen ...
Der Norberto verhält sich noch erstaunlich ruhig. Steht gedankenverloren an der Reling. Vielleicht malt er sich gerade sein erstes Essen aus? Wer weiß.
An Bord unseres Kreuzfahrtschiffes gibt es ja alles frei. Getränke, Essen, Kino, drei Pools. Das Servicepersonal ist hoffentlich bestens vorbereitet auf das, was sie erwartet. Ein Fanschiff voller Fußballfans im Hafen von Doha! Das kann nur gut werden. Auf jedes Besatzungsmitglied kommen etwa 10 Fans: Das Servicepersonal umfasst 290 Männer und Frauen (und Diverse?). Und eben 2900 Fußballfans. 2876 aus Deutschland, einer kommt aus Uganda, zwei Italiener, ein Mandarin, einer aus Manama, drei Chinesinnen, ein Pakistani, vier Holländer, einer aus Wales und zehn Engländer. Das war's. Eine bunte Mischung.
Der Capitanowitsch Oleg steht neben Norberto. Und winkt freundlich. Irgendwohin. Steht da und winkt Richtung Hafen. Au Mann, das geht ja gut los.
"Kommt, lasst uns was futtern!" Wusste doch, dass es nicht lange dauern kann. Norberto marschiert schon strammen Schrittes Richtung Theke.
Völlig überraschend aber greift Norberto nicht nach der Pistazien-Vorspeise, sondern schnappt sich ein Bier. Und 7 weitere für den Rest der Truppe.
Prost! Und Wohlsein! Auf die WM in Katar!
Los geht's! Katar, wir sind da!
Man könnte auch sagen: "Katta, wir sind da"! Neuerdings betonen sämtliche Moderatoren im deutschen Fernsehen das Wort Katar ja völlig neu. Sagen statt "Kataaar" jetzt "Kattta". Mit drei "t". Aus dem weichen Kataaar machen die Moderatoren ein hartes Katttar. Wollen besonders vornehm und politisch korrekt klingen und damit ihren Protest gegen das Land zum Ausdruck bringen.
Mit "Kattas" hatte ich bisher immer diese Tiere in Verbindung gebracht. Dieses den Feuchtnasenaffen zugeordnete Primatenvolk. Dank ihres quergestreiften Schwanzes sind sie unverwechselbar. Das macht sie natürlich sympathisch. Wer hätte nicht gerne einen quergestreiften Schwanz? Vielleicht wird deshalb das Wort Katar neuerdings so hart ausgesprochen, wer weiß. Aber ob diese Betonung ("Kattta!") beim Gastgeberland gut ankommt? Dass die Einwohner Katars mit Affen verglichen werden? Nicht, dass die deutschen Moderatoren/innen/außen schon vor Beginn der WM für einen handfesten Eklat sorgen!
Wir bleiben jedenfalls bei Kataaar.
So, genug gefaselt. Ran ans Werk. Ran an den Speck. Ran an die Theke.
Es ist jetzt anderthalb Stunden vor dem Eröffnungsspiel. Die Spannung steigt. Der Durst auch. Abdul konnte es auf dem Schiff nicht mehr aushalten und ließ sich in einem kleinen Beiboot an Land fahren. Es dauert keine zwei Minuten, da schickt er das folgende Foto:
Das Bier sieht gut aus, wie zu Hause in Deutschland. Schmecken tut es nach Ur-Pils, zumindest wenn man die Augen schließt. Und die Geschmacksnerven abschaltet. Aber das Pils ist wirklich gut temperiert. Hach, was will man mehr!
Na gut, noch ein Pils eben. Und irgendsoein Cocktailzeugs eben. "Cola kann man eigentlich weglassen", schreibt Abdul. Er hat das nur aufs Bild genommen, damit seine Familie zu Hause einen guten Eindruck von ihm bewahrt.
Der Ort der Getränkeeinnahme ist auch ok. Hier wird Abdul das Eröffnungsspiel anschauen. Falls er es noch miterlebt.
Kurz darauf meldet er sich schon wieder, unser Abdul. Dieses Mal ist er interviewt worden vom ZDF. Trocken gab er zum Besten: "Wir sind ja nicht hier, um uns zu betrinken."
Nein, nein. Vergleichbar ist sein Statement nur mit den folgenden Zitaten der Weltgeschichte:
W. Ulbricht: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen."
C. Powell: "Der Irak verfügt über chemische Waffen."
Für heute nur noch so viel: Das Eröffnungsspiel haben wir verpasst. Norberto war von den diversen Theken nicht mehr wegzubekommen, Oleg schmiedete bierschlurfend Pläne für morgen, Mohammed beklagte sich über die "Qualität" der weiblichen Fanschar auf dem Schiff, während Leron sich genau über diese freute (und irgendwie für ein paar Stunden verschwunden war). Von Abdul haben wir seit dem Interview mit dem ZDF kein Lebenszeichen mehr, wahrscheinlich in einer Taverne versackt. Ahmad hatten wir völlig vergessen, beim Zubettgehen aber festgestellt, dass immer noch eine Wache vor seinem Zimmer positioniert ist. Maha übte sich die ganze Zeit über im Die-Beine-elegant-übereinander-schlagen und auf schüchtern machend (bei Gelegenheit folgt ein Foto ihrer Übungen). Und bei mir klingelte laufend das Telefon. Meine Frau. Will alles Mögliche wissen und erschwert mir die Biereinnahme. Sie gönnt mir aber auch wirklich nicht das Schwarze unter den Fingernägeln.
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